Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), hat seinen Bericht über die physikalischen Grundlagen als Beitrag zum sechsten Sachstandsbericht über den Klimawandel vorgelegt, der Anfang 2022 erscheinen soll. Der Bericht und seine Zusammenfassung sind in dem präzisen Stil und dem Wortschatz wissenschaftlicher Veröffentlichungen gehalten, die „objektive“ Aussagen machen. Aber noch nie hat ein Bericht von Expert*innen für die globale Erwärmung einen solchen Eindruck von den Ängsten vermittelt, die durch die Abwägung der Fakten im Lichte der unumstößlichen Gesetze der Physik entstehen.
Beängstigende Aussichten ...
Die Angst rührt zuerst einmal aus dem Kontext: Die schrecklichen Überschwemmungen und Brände, die Verwüstung, Tod und Schrecken an sämtlichen Ecken und Enden des Planeten verbreiten, sind genau das, wovor der IPCC seit über dreißig Jahren warnt und wogegen die Regierungen nichts oder so gut wie nichts unternommen haben. Es liegt auch an der enormen Feststellung in dem Bericht: Die Menschheit wäre selbst dann noch mit schrecklichen Aussichten konfrontiert, wenn die COP26 im November in Glasgow das radikalste der von den Klimawissenschaftler*innen untersuchten Szenarien zur Stabilisierung des Klimas beschließen sollte, d. h. das Szenario, das die schnellste Reduzierung der CO2-Emissionen gewährleistet und die globalen Nettoemissionen bis spätestens 2060 aufhebt (und gleichzeitig die Emissionen anderer Treibhausgase reduziert). Zusammengefasst:
● Das in Paris festgelegte Ziel wird überschritten werden. Die globale durchschnittliche Oberflächentemperatur steigt zwischen 2041 und 2060 wahrscheinlich um 1,6°C (+/-0,4) (im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) und sinkt dann zwischen 2081 und 2100 auf 1,4°C (+/-0,4).
● Achtung ‒ es handelt sich nur um Durchschnittswerte: Es ist praktisch sicher, dass die Temperatur an Land schneller ansteigen wird als auf der Meeresoberfläche (wahrscheinlich 1,4 bis 1,7 Mal schneller). Es ist ebenfalls so gut wie sicher, dass sich die Arktis weiterhin schneller erwärmen wird als der globale Durchschnitt (höchstwahrscheinlich mehr als doppelt so schnell).
● In einigen Regionen der mittleren Breiten und in semiariden Gebieten sowie in der Monsunregion in Südamerika wird der Temperaturanstieg an den heißesten Tagen am ausgeprägtesten sein (anderthalb bis doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt), während die Arktis an den kältesten Tagen den höchsten Temperaturanstieg verzeichnen wird (das dreimal so hoch wie der globale Durchschnitt).
● An Land werden Hitzewellen, die bisher alle zehn Jahre einmal auftraten, künftig viermal in zehn Jahren auftreten, und solche, die bisher nur einmal in fünfzig Jahren auftraten, werden im gleichen Zeitraum fast neunmal auftreten.
● Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine zusätzliche Erwärmung (im Vergleich zu den derzeitigen 1,1°C) extreme Niederschlagsereignisse verstärken und ihre Häufigkeit zunehmen wird (weltweit 7 % mehr Niederschlag bei 1°C Erwärmung). Die Häufigkeit und Stärke intensiver tropischer Wirbelstürme (Kategorien 4 bis 5) wird ebenfalls ansteigen. In den meisten Teilen Afrikas und Asiens, Nordamerikas und Europas wird mit einer Intensivierung und Häufung von Starkniederschlägen und damit verbundenen Überschwemmungen gerechnet. Auch landwirtschaftliche und ökologische Dürren werden in einigen Gebieten auf allen Kontinenten außer Asien im Vergleich zum Zeitraum 1850 bis 1900 schwerer und häufiger auftreten.
● Es versteht sich von selbst, dass diese zusätzliche globale Erwärmung (von 0,5°C +/-0,4 im Vergleich zu heute) das Schmelzen des Permafrosts und damit die Freisetzung von Methan weiter verstärken wird. Diese zusätzliche Rückkopplung durch die globale Erwärmung ist in den Modellen nicht vollständig berücksichtigt (die trotz ihrer zunehmenden Komplexität die Realität weiterhin unterschätzen).
● Die Erwärmung der Ozeane im verbleibenden Teil des 21. Jahrhunderts wird wahrscheinlich zwei- bis viermal stärker sein als zwischen 1971 und 2018. Die Temperaturschichtung, die Versauerung und der Sauerstoffmangel der Ozeane werden weiter zunehmen. Alle drei Phänomene haben negative Folgen für das Meeresleben. Es wird Jahrtausende dauern, sie wieder rückgängig zu machen.
● Es ist nahezu sicher, dass die Gletscher in den Gebirgen und in Grönland noch jahrzehntelang weiter abschmelzen werden, und es ist wahrscheinlich, dass auch die Antarktis weiter abschmelzen wird.
● Es ist auch so gut wie sicher, dass der Meeresspiegel im 21. Jahrhundert im Vergleich zu dem Zeitraum 1995 bis 2014 um 0,28 bis 0,55 Meter ansteigen wird. In den nächsten 2000 Jahren wird er wahrscheinlich um 2 bis 3 Meter weiter ansteigen, und danach wird die Entwicklung weitergehen. Infolgedessen werden an der Hälfte der Orte, an denen es Ebbe und Flut gibt, außergewöhnliche Gezeitenereignisse, die in der jüngsten Vergangenheit einmal pro Jahrhundert beobachtet wurden, mindestens einmal pro Jahr auftreten, dadurch nimmt die Häufigkeit von Überschwemmungen in niedrig gelegenen Gebieten zu.
● Selbst wenn die Erwärmung innerhalb des zu erwartenden Bereichs des radikalen Szenarios bleibt (+1,6° +/-0,4°C), könnten bestimmte Ereignisse global und lokal mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber sehr starken Auswirkungen auftreten. Selbst bei diesem 1,5°C-Szenario sind abrupte Reaktionen und Kipppunkte ‒ wie eine verstärkte Schmelze in der Antarktis und das Absterben von Wäldern ‒ nicht auszuschließen.
● Ein solches wenig wahrscheinliches, aber mögliches Ereignis ist der Zusammenbruch der Nordatlantikdrift, die auch als AMOC bezeichnet wird (Atlantic Meridional Overturning Circulation, Nordatlantische Umwälzbewegung). Eine Abschwächung im 21. Jahrhundert ist sehr wahrscheinlich, aber das Ausmaß des Phänomens ist ein Rätsel. Ein Zusammenbruch würde höchstwahrscheinlich zu abrupten Verschiebungen in den regionalen Wettermustern und im Wasserkreislauf führen, z. B. zu einer Verlagerung des tropischen Regengürtels nach Süden, einer Abschwächung der Monsune in Afrika und Asien, einer Verstärkung der Monsune auf der Südhalbkugel und einer Austrocknung Europas.
... im besten Fall?
Dieser Bericht zwingt uns, der Realität ins Auge zu sehen: Wir stehen buchstäblich am Rande des Abgrunds. Dies gilt umso mehr, als ‒ wir wiederholen es und betonen es ‒: 1. die Prognosen für den Anstieg des Meeresspiegels die Phänomene des Zerfalls der Eiskappen nicht berücksichtigen, die nicht linear verlaufen und daher nicht modelliert werden können und die das Potenzial haben, die Katastrophe sehr schnell in einen katastrophalen Dominoeffekt zu verwandeln; 2. all dies nach Ansicht des IPCC eintreten wird, wenn die Regierungen der Welt beschließen, das radikalste Szenario der von den Wissenschaftler*innen untersuchten Szenarien zur Emissionsreduzierung umzusetzen, nämlich dasjenige, das darauf abzielt, die 1,5°C nicht (zu weit) zu überschreiten.
Die Auswirkungen der anderen Szenarien im Einzelnen darzustellen, würde diesen Text unnötig in die Länge ziehen. Nur ein Hinweis zum Meeresspiegel: Beim Szenario des „business as usual“ ist ein Anstieg von 2 Metern im Jahr 2100 und 5 Metern im Jahr 2150 „nicht ausgeschlossen“. Und langfristig, über zweitausend Jahre, würden die Meere bei einer Erwärmung von 5°C unweigerlich und (auf der menschlichen Zeitskala) unumkehrbar um … 19 bis 22 Meter steigen!
Es sei wiederholt: Die Umsetzung des radikalsten Szenarios, das ihnen vorgeschlagen wird, ist nicht das, was die Regierungen betreiben. Ihre Klimapläne (die „Nationally Determined Contributions“, NDCs, die national festgelegten Beiträge“) führen uns derzeit in Richtung einer Erwärmung von 3,5°C. Weniger als hundert Tage vor der COP26 haben nur wenige Länder ihre Zielvorgaben erhöht, aber nicht annähernd auf das erforderliche Niveau der Emissionsreduzierung. Die EU zum Beispiel, der „Klima-Champion“, hat sich das Ziel gesetzt, die Emissionen bis 2030 um 55 % zu reduzieren, obwohl 65 % erforderlich sind.
Eine einfache Frage der Mathematik und die politische Schlussfolgerung
Greta Thunberg hat einmal gesagt: „Die Klima- und Umweltkrise kann mit dem derzeitigen politischen und wirtschaftlichen System einfach nicht gelöst werden. Das ist keine Meinung, sondern einfach eine Frage der Mathematik.“ Damit hat sie absolut Recht. Man muss nur die Zahlen aneinander reihen, um das zu erkennen:
1. Die Welt stößt jährlich etwa 40 Gigatonnen (Gt) CO2 aus;
2. das „Carbon Budget“ (oder Kohlenstoffbudget oder Emissionsbudget ‒ die Gesamtmenge an CO2, die weltweit noch emittiert werden kann, ohne dass 1,5°C überschritten werden) beträgt nur 500 Gt (bei einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 50 % ‒ bei 83 % sind es 300Gt);
3. laut dem 1,5°C-Sonderbericht des IPCC erfordert das Erreichen von Netto- Null-Emissionen von CO2 im Jahr 2050 eine Verringerung der weltweiten Emissionen um 59 % vor 2030 (angesichts ihrer historischen Verantwortung in den entwickelten kapitalistischen Ländern65 %);
4. 80 % dieser Emissionen sind auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückzuführen, die trotz des politischen und medialen Hypes um den Durchbruch der erneuerbaren Energien im Jahr 2019 immer noch für... 84 % (!) des Energiebedarfs der Menschheit decken;
5. bei den fossilen Infrastrukturen (Bergwerke, Pipelines, Raffinerien, Gasterminals, Kraftwerke usw.), deren Bau sich nicht oder kaum verlangsamt, handelt es sich um Großanlagen, in die etwa 40 Jahre lang Kapital investiert wird; ihr ultrazentralisiertes Netz kann nicht an die erneuerbaren Energien angepasst werden (diese erfordern ein anderes, dezentrales Energiesystem): Es muss zerstört werden, bevor die Kapitalisten ihre Investitionen zurückgewinnen können, und die Kohle-, Erdöl- und Erdgasreserven müssen in der Erde bleiben.
Wenn man also weiß, dass drei Milliarden Menschen das Nötigste fehlt und dass die reichsten 10 % der Bevölkerung mehr als 50 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen, ist die Schlussfolgerung unausweichlich: Die Änderung des Energiesystems, um unter 1,5 °C zu bleiben und gleichzeitig mehr Energie für die Befriedigung der legitimen Rechte der Armen aufzuwenden, ist mit der Fortsetzung der kapitalistischen Akkumulation, die ökologische Zerstörung und wachsende soziale Ungleichheiten hervorbringt, absolut unvereinbar.
Die Katastrophe kann nur durch eine doppelte Bewegung aufgehalten werden, die darin besteht, die globale Produktion zu reduzieren und sie radikal neu auszurichten, um die wirklichen menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, nämlich die der Mehrheit, die demokratisch bestimmt werden. Diese doppelte Bewegung beinhaltet notwendigerweise die Abschaffung der nutzlosen oder schädlichen Produktion und die Enteignung der kapitalistischen Monopole ‒ vor allem im Energie-, Finanz- und Agrarsektor. Sie erfordert auch eine drastische Einschränkung des verschwenderischen Konsums der Reichen. Mit anderen Worten, die Alternative ist dramatisch einfach: Entweder wird die Menschheit den Kapitalismus liquidieren, oder der Kapitalismus wird Millionen unschuldiger Menschen liquidieren, um seinen barbarischen Kurs auf einem geschundenen und vielleicht unbewohnbaren Planeten fortzusetzen.
Vereinigte Räuber für „Negative-Emissionen-Technologien“
Es versteht sich von selbst, dass die Herren der Welt keine Lust haben, den Kapitalismus zu liquidieren... Was werden sie also tun? Lassen wir die Klimaleugner wie Trump beiseite, diese Adepten von Malthus, die auf einen fossilen Neofaschismus, einen Absturz in die planetarische Barbarei auf dem Rücken der Armen setzen. Lassen wir auch die Musks und Bezos beiseite, jene obszönen Milliardäre, die davon träumen, das Raumschiff Erde zu verlassen, das von ihrer parasitären kapitalistischen Gier unbewohnbar gemacht wurde. Konzentrieren wir uns auf die anderen, auf die gerisseneren, auf die Macron, Biden, von der Leyen, Johnson, Xi Jiping... ‒ die sich wie Räuber darum streiten werden, dass das Glasgow-Abkommen ihnen Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten bieten wird, die aber vor den Medien zusammenhalten werden, um uns einzureden, es sei „alles unter Kontrolle“.
Was schlagen diese Herren und Damen vor, um der oben genannten Alternative zu entrinnen? In erster Linie wollen sie natürlich, den Verbraucher*innen ein schlechtes Gewissen einreden, sie werden unter Androhung von Sanktionen aufgefordert, „ihr Verhalten zu ändern“. Dann kommt eine Reihe von Tricks, von denen einige geradezu plump sind (z. B. die Nichtberücksichtigung der Emissionen des internationalen Luft- und Seeverkehrs) und andere, die subtiler, aber nicht effektiver sind (z. B. die Behauptung, das Pflanzen von Bäumen ‒ im globalen Süden ‒ werde es möglich machen, genug Kohlenstoff zu absorbieren, um die fossilen CO2-Emissionen des Nordens nachhaltig zu kompensieren). Aber über diese Tricks hinaus glauben all diese politischen Manager des Kapitals nun felsenfest (oder sie tun so als ob) an einen Wunderweg: die Erhöhung den Anteil der „kohlenstoffarmen Technologien“ (Codename für Atomkraft, insbesondere „Mikrokraftwerke“) und vor allem den Einsatz der so genannten NETs („negative-emission technologies“, „Negative-Emissionen-Technologien“) oder CDRs (Carbon Dioxide Removal, Kohlendioxidentnahme) einsetzen, die das Klima abkühlen sollen, indem sie der Atmosphäre große Mengen CO2 entziehen, um es im Untergrund zu speichern. Dies ist die so genannte „vorübergehende Überschreitung der Gefahrenschwelle“ („temporary overshoot of the danger threshold“) von 1,5°C.
Nach Fukushima braucht man sich nicht mehr mit der Kernkraft zu befassen. Die „Negative-Emissionen-Technologien“ befinden sich zumeist erst im Prototyp- oder Demonstrationsstadium, und ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen versprechen erschreckend zu sein (mehr dazu später). Dennoch wird uns vorgegaukelt, dass sie das produktivistische/konsumistische System retten werden und dass der freie Markt für ihren Einsatz sorgen wird. In Wahrheit geht es bei diesem Science-Fiction-Szenario nicht in erster Linie darum, den Planeten zu retten: Es geht in erster Linie darum, die heilige Kuh des kapitalistischen Wachstums zu retten und die Profite derjenigen zu schützen, die am meisten für den Schlamassel verantwortlich sind: die multinationalen Öl-, Kohle-, Gas- und Agrarkonzerne.
Der IPCC zwischen Wissenschaft und Ideologie
Und was hält der IPCC von diesem Wahnsinn? Anpassungs- und Minderungsstrategien gehören nicht zum Kompetenzbereich der „Arbeitsgruppe I“ [Die physikalische Basis]. Sie stellt jedoch wissenschaftliche Überlegungen an, die von den anderen Arbeitsgruppen zu berücksichtigen sind. In Bezug auf die NETs hütet sie sich, wider den Stachel zu löcken. In der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger*innen heißt es:
„Die anthropogene CO2-Bindung (CDR) hat das Potenzial, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und dauerhaft in Reservoirs zu speichern (hohes Vertrauen).“ Weiter heißt es: „CDR zielt darauf ab, die verbleibenden Emissionen zu kompensieren, um Netto-Null-CO2-Emissionen oder Netto-Null-THG-Emissionen zu erreichen oder, wenn es in einem Ausmaß umgesetzt wird, in dem die anthropogene Entfernung die anthropogenen Emissionen übersteigt, die Oberflächentemperatur zu senken.“ (D1.5, S. 39)
In dieser Zusammenfassung wird eindeutig die Vorstellung bekräftigt, dass Negative Emissions-Technologien nicht nur eingesetzt werden könnten, um „Restemissionen“ aus Sektoren aufzufangen, in denen eine Dekarbonisierung technisch schwierig ist (z. B. im Luftverkehr), sondern dass sie auch in großem Maßstab eingesetzt werden könnten, um den Umstand zu vertuschen, dass sich der internationale Kapitalismus aus Gründen, die nicht „technisch“ sind, sondern mit Profit zu tun haben, weigert, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. In dem Text werden im Folgen die Vorteile eines solchen massiven Einsatzes als Mittel zur Erreichung negativer Nettoemissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts angepriesen:
„Die anthropogene CO2-Entfernung (CDR), die zu globalen negativen Nettoemissionen führt, würde die atmosphärische CO2-Konzentration senken und die Versauerung der Ozeane umkehren (hohes Vertrauen).“ (D1.5, S. 39)
Die Zusammenfassung enthält einen Vorbehalt, der jedoch kryptisch bleibt: „CDR-Technologien können potenziell weitreichende Auswirkungen auf die biogeochemischen Kreisläufe und das Klima haben, die das Potenzial dieser Methoden, CO2 zu binden und die Erwärmung zu reduzieren, entweder abschwächen oder verstärken und auch die Verfügbarkeit und Qualität von Wasser, die Nahrungsmittelproduktion und die biologische Vielfalt beeinflussen können (hohes Vertrauen).“
Im Klartext: offenkundig sind die NETs doch nicht so effektiv, da einige „Auswirkungen“ „das Potenzial zur CO2-Bindung abschwächen“ könnten. Der letzte Teil des zitierten Satzes bezieht sich auf soziale und ökologische Auswirkungen: Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS), die derzeit ausgereifteste NET, könnten die atmosphärische CO2-Konzentration nur dann signifikant reduzieren, wenn eine Fläche, die mehr als einem Viertel der heutigen permanent bewirtschafteten Fläche entspricht, für die Produktion von Biomasse genutzt würde ‒ auf Kosten der Wasserversorgung, der biologischen Vielfalt und/oder der Ernährung der Weltbevölkerung.
So stützt sich die IPCC-Arbeitsgruppe I einerseits auf die physikalischen Gesetze des Klimasystems, um uns zu verkünden, dass wir am Rande des Abgrunds und kurz davor stehen, unumkehrbar in einen unvorstellbaren Kataklysmus zu kippen; andererseits versachlicht und verharmlost sie den politisch-technologischen Höhenflug, mit dem der Kapitalismus einmal mehr versucht, den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen seiner Logik der unbegrenzten Profitakkumulation und der Endlichkeit des Planeten aufzuschieben. „Noch nie hat ein Bericht von Expert*innen für die globale Erwärmung einen solchen Eindruck von den Ängsten vermittelt, die durch die Abwägung der Fakten im Lichte der unumstößlichen Gesetze der Physik entstehen“, schrieben wir zu Beginn dieses Artikels. Noch nie hat ein solcher Bericht so deutlich gezeigt, dass eine wissenschaftliche Analyse, die die Natur als Mechanismus und die Gesetze des Profits als physikalische Gesetze behandelt, nicht wirklich wissenschaftlich, sondern szientistisch, d. h. zumindest teilweise ideologisch ist.
Der Bericht der Arbeitsgruppe I des IPCC sollte daher in dem Bewusstsein gelesen werden, dass er sowohl das Beste als auch das Schlechteste ist, was uns vorliegt. Das Beste, weil er eine rigorose Diagnose liefert, aus der sich hervorragende Argumente für eine Anklage gegen die Machthabenden und ihre politischen Repräsentant*innen gewinnen lassen. Das Schlechteste, weil er sowohl Angst als auch Ohnmacht verbreitet... wovon die Mächtigen profitieren, obwohl die Diagnose sie anklagt! Ihre szientistische Ideologie ertränkt den kritischen Geist in einer Flut von „Daten“. So lenkt sie die Aufmerksamkeit von den systemischen Ursachen ab, das hat zweierlei Konsequenzen: 1. Die Aufmerksamkeit wird auf „Verhaltensänderungen“ und andere individuelle Gesten gelenkt ‒ viel guter Willen, aber pathetisch unzureichend; 2. anstatt dazu beizutragen, die Kluft zwischen ökologischem Bewusstsein und sozialem Bewusstsein zu überbrücken, hält der Szientismus sie aufrecht.
Die Ökologisierung des Sozialen und die Sozialisierung der Ökologie ist die einzige Strategie, mit der die Katastrophe aufgehalten und die Hoffnung auf ein besseres Leben wiederbelebt werden kann. Ein Leben, das sich um die Menschen und um die Ökosysteme kümmert, jetzt und auf lange Sicht. Ein einfaches, freudiges und sinnvolles Leben. Ein Leben, das die IPCC-Szenarien niemals modellieren werden, ein Leben, in dem die Produktion von Gebrauchswerten für die Befriedigung echter Bedürfnisse, die demokratisch im Respekt vor der Natur bestimmt werden, die Produktion von Gütern für den Profit einer Minderheit überwindet. Dieses ökosozialistische Alternativszenario wird vom IPCC nicht modelliert werden. Es ist rational und machbar, es kann aber nur aus der Solidarität und den selbstorganisierten Kämpfen der Ausgebeuteten und Unterdrückten erwachsen.
10. August 2021
Aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Michael Heldt und Friedrich Dorn
Quelle: https://www.ga…; https://fourth…
Daniel Tanuro ist Agraringenieur, Ökosozialist und Mitglied von Gauche Anticapitaliste / SAP Antikapitalisten, der belgischen Sektion der Vierten Internationale. Auf Deutsch erschien sein Buch über den „unmöglichen grünen Kapitalismus“ (2010) unter dem Titel Klimakrise und Kapitalismus (Köln: Neuer ISP Verlag, 2015).